Im Kindergarten in Peru

Eingewöhnung? Hausschuhe? Gesundes Essen? Was im Kindergarten, in den Wutzi ab September in Wien gehen wird, ganz normal ist, wird im Kindergarten in Peru überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Wir haben uns trotzdem entschieden, ihn hinzuschicken.

Zwei Monate, in denen Wutzi nicht in Kinderbetreuung soll sind lang. Das bemerken wir bereits in den ersten Tagen unseres Aufenthalts in Lima. „Kinder brauchen Struktur.“ Wir wahr. Und die haben wir nicht, weil wir unsere Tage recht frei nach Lust und Laune gestalten, je nachdem was gerade ansteht. Wutzi sucht Grenzen. Immer wieder. Wenn es die nicht gibt, dann fordert er sie. Schokolade? Fernsehen? Im Haus Ballspielen. In die entgegengesetzte Richtung laufen. Beim Überqueren der Straße nicht an der Hand gehen wollen. Er ist unglaublich kreativ im Suchen seiner Grenzen. Einfach nicht genug gefordert.  Und so fragt sogar die peruanische Oma, ob er nicht in den nahen Kindergarten gehen soll. Schon die zwei älteren Enkelinnen (heute 9 und 18 Jahre alt) wären hingegangen. Immerhin könnten wir so vertrauen, dass er dort gut aufgehoben ist.

Gesagt getan. Papa, Oma und Wutzi marschieren mit dem kleinen Bruder im Tragetuch nach dem Frühstück los. Weniger als eine Stunde später kommen sie ohne Wutzi zurück. Er wollte gleich dortbleiben. Wunderbar! Der Nido, so heißt „Kindergarten“ auf spanisch, gefällt ihm! Seine anfängliche Euphorie verfliegt freilich nach ein paar Tagen. Aber hat der Nido seine Verlockungen. Zum Beispiel ein Kugelbecken! Das zieht. Dann ist es der Kakao, den er mit Papa am Weg zum Nido kaufen darf. Oder das bunte Joghurt. Das Joghurt will er direkt nach seiner Ankunft im Kindergarten aufmachen und essen. Die Betreuerinnen lassen ihn. Beim Abholen zu Mittag erzählen sie uns, dass der liebe süße Bub mit den schönen blonden Haaren unbedingt noch ein Joghurt wollte. Also sei Miss Olga losgezogen, um ihm ein zweites zu besorgen. Wie bitte?!

Ich kenne Peru mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass mein Protest nichts ausrichten würde. Es ist eine andere Kultur. Wenn ein Kind weint oder schreit, weil es Schokolade oder Zuckerl haben möchte, dann wird dem armen Geschöpf gegeben, wonach es verlangt. Damit es glücklich und zufrieden ist. Ein völlig anderer Zugang als bei uns. Finde ich das gut? Nein! Aber: Wutzi ist Teil dieser Kultur. Hier kommt sein Vater her. Wenn ich möchte, dass meine Kinder mit beiden Kulturen aufwachsen, dann kann ich mir nicht die Rosinen herauspicken. Das wird er eines Tages (hoffentlich) selbst tun. Aber es fordert mich als Mutter. In meiner Gelassenheit.

Ich bin überzeugt, dass es diesem meinen Kind guttut, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein. Von spanischsprechenden Menschen, die sein Deutsch nicht verstehen. Dass er in einer Routine ist, die ihm ein paar Stunden am Tag einen Rahmen vorgibt. Die restliche Zeit des Tages hat er wieder jede Menge Freiheit. Ich kann mir vorstellen, ihn für einige Zeit zu Hause zu unterrichten. Aber im Moment wären wir ehrlich zugegeben einfach überfordert mit den beiden Kindern unter 3 Jahren. Derzeit passt es nicht.

So atme ich tief durch und versuche, auch innerlich nicht zu urteilen. Straßenschuhe im Kindergarten? Ganz normal, dass jeder einfach damit reingeht. Die Lehrmethoden: ganz genau durchstrukturiert, mit viel Sitzen. Sogar eine Evaluierung der Fähigkeiten der Kleinsten gibt es, in denen beispielsweise überprüft wird, wie gut sie Linien nachziehen können. Bewegungsspiele und Spielgeräte: immer nur so viel, dass niemand hinfällt und sich irgendwie verletzen könnte.

Am 28.7. ist peruanischer Nationalfeiertag. Der Nido hat zwei Wochen geschlossen. Eine Woche vorher gibt es ein Fest, mit einem Umzug, wie es sich gehört. Die Kinder studieren Gesänge und Gedichte ein, marschieren zu Musik, singen die Nationalhymne und tragen traditionelle Gewänder aus allen Landesteilen und Kulturkreisen Perus. Und es gibt Lautsprecher, aus denen abwechselnd übersteuerte Musik und die Ansagen der Kindergartenleiterin schallen. So laut! Wutzi möchte zunächst gar nicht hingehen. Er mag keinen Lärm (außer sein eigenes Geschrei). Selbst die Kleinen haben ein Sätzchen oder ein paar Worte einstudiert, die sie ins Mikrofon sagen sollen. Mit einiger Überredungskunst lässt Wutzi sich seinen Umhang mit Mustern der indigenen Bevölkerung von Perus Regenwald anziehen. Irgendwie findet er es lustig und nicht ganz geheuer gleichzeitig. Die Feier ist tatsächlich laut und ein riesiges Tamtam für so kleine Kinder. Nicht nur er verlangt nach Mama, auch andere Kinder in seiner Gruppe. So hocke ich hinter meinem Kind, als er – mit einem Schlecker im Mund – zögernd das Mikrofon anblickt, als er gefragt wird, welche Tiere aus dem peruanischen Regendwald ihm denn am meisten gefallen. „Monos y loros – Affen und Papageien“, murmelt er verschämt grinsend ins Mikrofon. Ich zerfließe vor Stolz und laufe rot an, wie ich auf dem Video, dass meine Schwägerin mir nachher schickt, sehe.

Noch Wochen später wird Wutzi immer wieder irgendeinen Gegenstand als Mikrofon hernehmen und laut „monos y loros“ rufen. Auch wenn er in den letzten Tagen unseres Peru-Aufenthalts einfach nicht mehr in den Nido gehen möchte, sind wir dankbar, die Möglichkeit gehabt zu haben. Es ist ja nicht selbstverständlich, für 2 Monate so spontan einen vertrauenswürdigen Betreuungsplatz für ein Kleinkind zu finden. Am Ende plappert Wutzi munter mit den Betreuerinnen spanisch, bringt eine Mappe mit seinen Kinderarbeiten-Arbeiten nach Hause und spricht immer wieder begeistert vom „Colegio“, von seiner Schule.

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