Wenn das Baby seinen eigenen Weg wählt

Der Spoiler gleich am Anfang: Ich hatte einen Kaiserschnitt. Ob er geplant war? Definitiv nicht. Ob ich überhaupt nur daran gedacht hatte? Ebenfalls Fehlanzeige.

Ein Gastbeitrag von Stephanie Doms zur Beitrags-Serie „Die Geburt“

Immerhin habe ich neun Monate lang eine Bilderbuchschwangerschaft genossen, war im Einklang mit meinem Körper und habe noch nie zuvor so sehr auf meine Intuition und meine Weiblichkeit vertraut wie in dieser Zeit. Ich war sicher: Das Baby würde irgendwann auf so wunderschöne Weise aus meinem Bauch flutschen, wie es da reingekommen war. Es musste ganz einfach nur der richtige Zeitpunkt kommen.

Der errechnete Termin rückte näher – und verstrich. Zwei Tage lenkte ich mich mit allem möglichen ab. Dann eines Morgens beim Frühstück dieser seltsame Ausfluss. Dumpfe meldet sich im Hinterkopf eine Information, die wir beim Geburtsvorbereitungskurs erhalten hatten: Vielleicht ein hoher Blasensprung? Dass ein hoher Blasensprung nicht super ist, weil er alles und nichts bedeuten kann, weil eigentlich etwas passiert, aber halt doch noch zu wenig, um von einem wirklichen Startschuss zu sprechen. Wir haben zu dieser Zeit ein altes Haus renoviert. So stand ich dann den ganzen Tag auf der Baustelle und spachtelte alte Farbe von den Wänden. In meinem Kopf immer diese eine Frage: Ist das Fruchtwasser in meiner Unterhose? Geht’s jetzt los? Und wie lange ist lange, wenn die Hebamme im Kurs rät, so lange wie möglich abzuwarten, bis man ins Krankenhaus fährt? Am Abend hatte ich dann seltsames Bauchziehen. Vielleicht Wehen? Vielleicht aber einfach nur Überanstrengung wegen der Arbeit auf der Baustelle, beruhigte ich mich. Ich wollte nicht recht wahrhaben, dass es auf so undefinierbare anfangen sollte mit der Geburt. So sicher ich mir damals war, dass ich schwanger war, so unsicher war ich jetzt. Das konnte doch nicht sein! Das musste sich doch nach mehr Gewissheit anfühlen, oder nicht? Schlafen konnte ich wegen dieser großen Unsicherheit nicht, versteht sich. Ins Krankenhaus fahren wollte ich aber auch nicht. Wäre doch auch blöd, um diese Zeit noch alle hektisch zu machen, wenn dann vermutlich gar nichts wäre. Kurz vor Mitternacht reichte es dann meinem Mann: Er packte mich und meine seit Tagen bereitstehende Tasche und fuhr ins Krankenhaus.

Los geht’s – oder auch nicht

Da dann die Gewissheit: hoher Blasensprung. Das ist kein Ausfluss, sondern Fruchtwasser. Das abendliche Ziehen im Bauch waren erste Wehen. Mir wurde ein Zimmer zugewiesen. Mein Mann durfte bei mir bleiben, weil die Schwester zwei Augen zudrückte. Ich schlief überraschend gut. Vermutlich, weil ich so selig war, dass es nun wirklich bald so weit sein würde. Die Vorfreude ließ mich dann am nächsten Morgen recht bereitwillig zustimmen, ein Zäpfchen zu nehmen, um die Wehen anzustarten. Auf der Liste, die ich – gemäß meinem Hypnobirthing-Buch – eifrig verfasst hatte, stand das künstliche Einleiten der Wehen ganz oben, gleich unter der Überschrift: Was ich keinesfalls will. Leider war meine Ungeduld mal wieder größer: Ich wollte endlich, endlich unser Baby in die Arme nehmen! Und zwar flott!

Da nahm alles seinen Anfang. Die Wehen legten sofort los mit einem irren Tempo. Bei 35 Grad im Freien lag ich drinnen in der heißen Badewanne, in gefühlt jeder Zehe zehn Akupunkturnadeln, in der Nase den Geruch von einem Öl, das entspannen helfen sollte. Mir tat mein Mann leid, weil das Zimmer kein Fenster hatte, und er hier am Badewannenrand noch mehr schwitzte als ohnehin schon an diesem Sommertag. Die Schmerzen? Waren nicht so angenehm wie im Hypnobirthing-Buch beschrieben, aber definitiv erträglicher als erwartet. Jahrelange schlimme Menstruationskrämpfe hatten mich wohl recht gut vorbereitet. Das Schlimmste war nur: Ich hatte das Gefühl, mich in einer Blase zu bewegen und nicht ich selbst zu sein. Ich war völlig überrumpelt von dem, was mit meinem Körper passiert. Lag das an dem Zäpfchen? Die Hebamme fragte mich mehrmals, ob ich spüre, dass sich das Baby weiter nach unten bewege. Ich konnte es ihr nicht sagen. Sie prüfte es mehrmals, doch es gab keinen Zweifel daran: Unser Sohn kraxelte nach oben und nicht nach unten. „Ich glaube, der findet den Ausgang nicht. Er sucht seinen eigenen Weg“, sagte die Hebamme und lächelte. Ich wollte ja immer ein Kind mit einer eigenen Meinung, aber in dem Moment fand ich das überhaupt nicht lustig. Es war, als wäre es nicht mein Körper. Was stimmte nicht mit mir, dass mein Kind nicht rauskam? So dümpelte ich weiter im Wasser und wartete, während die Wehen unkontrolliert kamen und gingen und der Muttermund fest verkniffen keine Anstalten machte, ein Baby rauszulassen.

Die Stunden verstrichen ohne nennenswerte Veränderung. Irgendwann erklärte die Hebamme: „Schluss, aus. Sie brauchen eine Pause.“ Mir wurden Mittel verabreicht, um die Wehen zu verlangsamen. Dann passierte – welch Überraschung! – noch weniger als zuvor. Es war Nacht geworden und mein Mann war mit seiner Energie am Ende. Er fragte, ob er sich kurz hinlegen dürfe. Auch die Hebamme ging, um mir Ruhe zu gönnen. Ich war so froh! Endlich alleine! Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, wieder eine Verbindung zu mir selbst aufnehmen zu können. Ich wechselte selbst in verschiedene Positionen, die mir gerade angenehm erschienen. Ich blendete alles aus: meinen schlafenden Mann, die Hebamme, die ab und an kam, um nach mir zu sehen. Da waren nur das Baby und ich und diese noch nie gefühlten Aktivitäten in meinem Körper. Es war schön, ich konnte es richtig genießen und es war fast so wie in den Büchern, die ich in der Schwangerschaft gelesen hatte. Ich spürte und wusste, dass da etwas Einzigartiges geschah.

Und dann die Entscheidung: Kaiserschnitt

Doch es ging wegen des Wehenhemmers einfach nichts weiter. Meine Kräfte ließen nach und langsam wechselte meine Stimmung wieder von Zuversicht zu Verzweiflung: Warum will mein Kind da nicht raus? Es wurde eine PDA gemacht. Ich fühlte nichts mehr in den Beinen. Auch wenn viele Erinnerungen an die Geburt nur mehr gedämpft vorhanden sind: Ich weiß noch ganz genau, wie furchtbar es war, meine Beine nicht mehr bewegen zu können. Spätestens jetzt fühlte ich mich völlig ausgeliefert. Die Blase wurde aufgestochen. Auch das brachte nichts. Dann kam mein Frauenarzt, Primar der Gynäkologie. Er sah mich an und sagte: „Sie sind haben keine Kraft mehr, wir machen jetzt einen Kaiserschnitt.“ Ich weiß nicht, ob ich zuvor schon geheult hatte oder ob ich erst jetzt in Tränen ausbrach. Als ich auf dem OP-Tisch vorbereitet wurde, meinte eine Schwester tröstend, dass ich keine Angst haben müsse. Ich entgegnete nur: „Ich habe keine Angst. Ich freue mich nur so sehr darauf, dass unser Sohn jetzt endlich bald kommt.“

Und so war es auch: Ich hatte keine Angst. Während des ganzen Geburtsverlaufs hatte ich zu keinem Zeitpunkt Angst. Es war aufregend, es war überraschend, es war atemberaubend, es war schmerzhaft, es war beeindruckend, es war neu, … aber es war zu keinem Moment beängstigend. Selbst als ich während der OP das Rütteln an meinem Bauch spürte, dachte ich nur an eines: dass jetzt ein Mensch geboren wurde, dass ich jetzt Mama wurde.

Und dann wurde er über das grüne Tuch gehoben, unser Sohn, das kleine Buddha-Baby, das den Weg gewählt hatte, der ihm am angenehmsten und entspanntesten vorkam. Er wurde auf die Welt gehoben. Er hat nicht geweint, er hat uns nur neugierig angesehen. Er wurde mir ganz nahe zum Gesicht gehalten und ich habe ihn gestreichelt. Danach ging alles ganz schnell. Es kam mir vor, als wäre keine Zeit vergangen zwischen dieser ersten Berührung und dem Moment, indem er mir oben im Zimmer auf den Bauch gelegt wurde. Er begann sofort zu trinken. Er wusste, was zu tun war. Ich durfte einfach nur daliegen und ihn ansehen und überwältigt sein von so viel Natur und Wunder.

Am nächsten Tag wurde bei Untersuchungen festgestellt, dass mein Steißbein zu weit nach innen steht. In Kombination mit einem Kind mit großem Dickkopf ist das für eine natürliche Geburt eher kontraproduktiv. Das von meinem Steißbein habe ich nicht gewusst. Und eigentlich hieß es monatelang, dass mein Kind laut Ultraschall eher zart werden würde. Aber so ist das eben mit Kindern. Es war mir eigentlich völlig egal. Ich war glückselig mit unserem wunderbaren Baby. Selbst als die Hebamme ganz nebenbei meinte, dass ein Kaiserschnitt für sie kein richtiger Erfolg sei, irritierte mich das nicht. Im Gegenteil: Ich war da erst richtig stolz darauf, dass trotz meines Wunsches, eine natürliche Geburt zu haben, trotz der allgemeinen Auffassung, dass eine natürliche Geburt das Beste wäre, mein Baby entscheiden durfte, wie es zur Welt kommen wollte. Ist mir doch wurscht, was alle alternativen Hebammen und Geburtsratgeber für das Tollste halten!

Sei’s, wie’s sei – hier kommt Nummer zwei

Ich sehe das heute noch immer so. Und ich denke gerade viel über die Geburt meines Sohnes nach, die mittlerweile zwei Jahre her ist. Denn ich bin in der zehnten Woche schwanger. Ich weiß mittlerweile, dass Kinder haben und Kinder bekommen nicht (immer) rosarot und zuckersüß ist. Ich weiß, wie sich 28 Stunden Wehen, eine PDA, eine aufgestochene Fruchtblase, ein Kaiserschnitt und lange Wochen Schonprogramm ohne mein geliebtes Yoga anfühlen. Und trotzdem freue ich mich wie verrückt darauf, noch einmal eine Geburt erleben zu dürfen. Aber ich möchte mich dieses Mal besser mit Eventualitäten und vor allem mit Alternativen auseinandersetzen. Ich wollte beim ersten Kind schon eine Hausgeburt. Ich denke, darüber werde ich mich dieses Mal ernsthaft informieren. Oder zumindest will ich so lange wie es nur geht außerhalb des Krankenhauses bleiben, am liebsten alleine oder im Zweifelsfall mit professioneller Begleitung, die ich mir selbst ausgesucht habe. Ich will so lange wie möglich in einem vertrauten Umfeld sein, wenn sich das Baby auf den Weg macht. Und mit dem vertrauten Umfeld meine ich in erster Linie meinen eigenen Körper. Ich will ganz und gar da sein, wenn das nächste Wunder geschieht. Ohne Medikamente und eine geburtsbeschleunigende Maßnahme nach der anderen. Ich will mir von Anfang an Zeit nehmen für mein Kind. Und wenn es mir dann sagt, dass es einen Kaiserschnitt will, dann soll es so sein. Ich weiß ja jetzt schon, dass damit keine Welt untergeht. Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten, wie ein neuer Mensch auf die Welt kommen kann.

ÜBER DIE AUTORIN

Stephanie Doms bezeichnet sich als Wortspielerin, Yoga-Lehrerin und Little Miss Sunshine. Sie betreibt den Blog „Eins. Mein erstes Jahr mit Kind“, in dem sie Mütter oder Väter zu ihrem ersten Jahr als Eltern interviewt. Die Geschichten und Fotos sind sehr persönlich – einzigartig und oft ermutigend.

 

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