Arbeitende Rabenmutter?

Heute habe ich einen Termin in einem Museum – ein Auftraggeber, mit dem ich bereits für ein spannendes Projekt im Ausland zusammengearbeitet habe. Es ist eines dieser Traum-Projekte, von denen es ruhig mehr geben dürfte. Im vorderen Teil meines Hinterkopfs klopft das schlechte Gewissen an.

Ich spaziere die Ringstraße entlang zu einem der geschichtsträchtigen Gebäude, vor denen sich gern Touristen tummeln. Stolz über diesen Auftraggeber gehe ich hinein und ins Büro hinauf. Doch das gute Gefühl wird begleitet von dem Gedanken, dass ich schnell machen muss. Zu lang sollte ich nicht brauchen. Mein Handy bleibt die ganze Zeit über eingeschaltet. Man weiß ja nie, ob es nicht einen Notfall gibt, den nur Mama lösen kann. Was das sein soll, weiß ich zwar nicht, aber egal.

Bereits seit seinem zweiten Lebensmonat arbeite ich immer wieder mal ein paar Stunden an diversen Projekten als Filmemacherin und Autorin. Schritt für Schritt gebe ich diesem Aspekt  meiner Persönlichkeit wieder Platz in meinem Leben. Mir macht meine kreative Arbeit unglaublich viel Freude. Sie erfüllt mich. Meine neue Rolle als Mutter lässt mich vieles aus einer neuen Perspektive betrachten. Ich empfinde mein Muttersein als bereichernd für meine Kreativität. Außerdem gehe ich viel konsequenter mit der wenigen Zeit um, die mir in dieser Lebensphase für meine Arbeit bleibt. Montag ist Omi-Tag; d.h. ich habe einen halben Tag, um mich auf meine To-Do-Liste und die Umsetzung der vielen Ideen, die mir so zwischendurch kommen, stürzen. Für sonstige Termine oder wenn es um eine Deadline geht, bitte ich den Kindesvater, mir den Rücken freizuhalten.

Und genau da liegt der Haken: ich „bitte“ ihn darum, mir doch Zeit zu geben, damit ich arbeiten kann und er sich in seiner Freizeit um unser Baby kümmert. Jede Bitte ist mit einer potenziellen negativen Antwort verbunden. Das impliziert weitere Fragestellung: Steht mir das zu? Verlange ich nicht zu viel von ihm? Sollte ich nicht lieber eine gute Mutter sein und die Zeit mit meinem Baby verbringen?

Wir Mütter in Österreich sind in der glücklichen Lage, Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld zu haben. Mamis in einem Angestellten-Verhältnis mit entsprechendem finanziellen Rückhalt (sei es durch Ersparnisse oder das Gehalt des Kindsvaters) haben überhaupt gesetzlichen Anspruch darauf, zwei Jahre lang zu Hause zu bleiben. Wir müssen uns nicht in den ersten Lebensmonaten gleich Gedanken über Abstillen und Kinderbetreuung machen, sondern können unsere Kinder und ihre Bedürfnisse kennenlernen. Das ist toll! Mütter in anderen Ländern können davon nur träumen! Was ist aber, wenn die Arbeit Freude macht und nicht so lange liegen bleiben möchte? Wenn ich zwischen den Extremen Vollzeit-Zuhause und Kinderbetreuungs-Wahnsinn schon früh versuchen will, eine für mich passende Balance zu finden? Was ist mit den selbstständig arbeitenden Frauen, die nicht einmal ein halbes Jahr mit der Betreuung ihres Kundenstocks pausieren wollen aus Angst, diesen zu verlieren?

Ob die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für Mütter, Babies und Väter in Österreich ideal sind, sei jetzt einfach mit einem großen Fragezeichen dahingestellt. Mir geht es um dieses schleichende Gefühl, als Mutter nicht arbeiten zu „dürfen“ oder zu „sollen“. Es ist eine leise Stimme, die in manchen Situationen lauter wird und die ich nicht in mir vermutet hätte, bevor ich Mama wurde. Aber sie ist da. Mein Platz ist bei meinem Baby und Basta.

Es heißt, um ein Kind großzuziehen, brauche es ein ganzes Dorf. Ich lebe in der Stadt Wien im Jahr 2017. Mutter, Vater, Kind – und noch ein Kind des Vaters, der viel bei uns ist. Eine typische Patchwork-Familie. Ich habe das Glück (meistens empfinde ich es jedenfalls so), dass meine Eltern nur eine Straße weiter weg wohnen und mir hin und wieder unter die Arme greifen, damit ich arbeiten oder etwas anderes für mich tun kann. Aber das Dorf ist trotzdem nicht da. Ich muss jedes Mal darum bitten. Und das ist kein gutes Gefühl. Es ist so, als ob mir andere einen Gefallen tun, damit ich einen anderen Teil als der Mutter in mir Raum geben kann. Sei es, der Vater spielt im Nebenzimmer mit dem Kleinen oder er nimmt ihn im Tragetuch mit, wenn er etwas zu erledigen hat – macht er auch gern… wenn ich ihn darum bitte. Manchmal tut er es nicht gern, dann muss ich entweder jemanden anderen bitten, oder ich bleibe eben bei meinem Baby.

Verglichen zu unserer Elterngeneration hat sich einiges gebessert, aber eben nur einiges. Meine Mutter betont immer, wie toll es ist, dass der Babyvater auch so viel und so gern Zeit mit unserem Nachwuchs verbringt. Ja aber hallo! Ist das nicht selbstverständlich? Gibt es nun Orden für Eltern – vor allem für Väter – , die sich gern mit ihren Kindern beschäftigen? Ich glaube, dass noch immer ganz viel in den Köpfen der Menschen passiert, das ruhig noch besser werden kann. Ich bemerke es ja an meinem eigenen Kopf. Das schlechte Gewissen ist nur in mir… Wirklich? Ist es nicht vielmehr Ausdruck der Konstituierung einer Gesellschaft in der ich großgeworden bin und lebe?

Bereits nach einer Stunde ist mein Termin im Museum erledigt und ich spaziere mit einem großen Auftrag in der Tasche durch den Burggarten in Richtung Karlsplatz. Ein Kaffee im Palmenhaus wäre jetzt noch schön. Oder gehe ich noch ein paar Schritte spazieren? Weder noch. Lieber verantwortungsvoll direkt nach Hause. Als ich die Wohnungstür aufsperre, ist es muxmäuschenstill. Niemand da. Vater und Baby sind selbst eine Runde draußen. Als sie ein paar Minuten nach mir eintreffen überreicht der Vater mir mein lachendes Baby, damit er in Ruhe aufs Klo gehen kann. Zwei Stunden Zeit für meine Arbeit sind um.Versteht mich nicht falsch, ich freue mich riesig, mein Baby wieder zu knuddeln, diesen weichen, lustigen Wutzibutz. Es ist das schönste Gefühl auf der Welt, wieder mit ihm zu lachen und für ihn da zu sein.

Und trotzdem: Ich werde wieder darum bitten, dass jemand aufs Baby schaut. Wenn ich dann aufs Klo muss, oder wenn ich ein E-Mail oder sonst etwas schreiben will. Ich werde freundlich fragen, auf ein Ja hoffen und mich bemühen, dem anklopfenden schlechten Gewissen nicht zuzuhören. Ein Teil meiner Arbeit war immer das Reisen. Daran wage ich derzeit noch recht wenig zu denken! Davon, eine Nacht von meinem Baby getrennt zu sein, bin ich noch Meilenweit entfernt. Aber genau darum geht es mir: um diese schritteweise Abnabelung des Kindes von der Mutter, die körperliche mit der Geburt und Durchtrennung der Nabelschnur beginnt und emotional ein ganzes Leben andauern wird. Jede Mama darf und sollte mit dem jeweiligen Kind die für sie passenden Schritte zu beiderseitiger Unabhängigkeit liebevoll gehen. Aber es ist ein notwendiger Prozess und ich brauche bei den einzelnen Schritten kein schlechtes Gewissen zu haben. Tu ich trotzdem. Aber ich bin mir dessen bewusst und ich finde, wir sollten darüber reden anstatt über Helikopter-Mütter die Nase zu rümpfen und insgeheim doch zu denken, dass die ihre Verantwortung vielleicht doch besser wahrnehmen als Mütter, die offen und zufrieden die verschiedenen Aspekte ihrer Persönlichkeit zu verbinden versuchen.

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2 Kommentare

  1. ich glaube, das tolle und gleichzeitig auch schwierige in unserer Zeit ist, dass eigentlich alles möglich ist: viel arbeiten, wenig arbeiten, gar nicht arbeiten als Mutter.

    Das doofe ist nur, dass es noch nicht lange so ist und deshalb noch die Selbstverständlichkeit fehlt, es so umzusetzen, wie es sich für einen selbst richtig anfühlt.

    Für mich klingt es so, als wenn du alles richtig machst. Langsam wieder arbeiten, so viel, wie es sich für dich richtig anfühlt. Nur sollte das vielleicht in der Partnerschaft nochmal thematisiert werden, damit du nicht „bitten“ musst. Es sollte selbstverständlich sein.

    Ich bin nach einem Jahr Elternzeit wieder voll eingestiegen, inklusive Reisen, obwohl ich vorher gern gearbeitet habe und die Reisen toll fand, hat mich das wirklich an meine Grenzen gebracht (https://meinglueck.wordpress.com/2017/06/12/wie-es-ist/) und inzwischen Reise ich fast gar nicht mehr. Da finde ich umso mehr sei Modell klingt toll!

    1. Ja, alles ist möglich! … und weil es so neu ist, und das NEUE immer wieder auch nach Orientierung sucht, wühlt es sich manchmal wie ein schwangendes Boot an 🙂

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