Geheimclub

Bei meiner vorletzten Reise nach Lateinamerika machte ich eine eigenartige Beobachtung: ich war geschlechtslos.

Eine Frau Anfang 30, die allein reist, um eigene Projekte zu verwirklichen, das gibt es vor allem in abgelegenen Gegenden wie im peruanischen Dschungel oder hoch oben in einsamen Bergdörfern nicht aller Tage. Und wenn eine Frau reist, dann meist in Begleitung eines oder ihres Mannes. Wenn die alleinreisende Frau ohne Begleitung auch noch kein Kind hat, dann passt das schlicht und ergreifend nicht in das gesellschaftliche Bild. Trotzdem wurde ich meist mit offenen Armen willkommen geheißen. Ich durfte nur nicht mithelfen. Die Zeit, die ich bei einer indigenen Kommunität im tiefen Dschungel verbrachte, fiel es mir anfangs schwer zu verstehen, warum ich nicht beim Kochen helfen durfte. Wer weiß, ob eine wie ich überhaupt kochen kann… Wie sollten sie das von mir erwarten können. Von Männern, die andere Arbeiten erledigen – ich hatte ja auch andere Aufgaben zu erledigen, wird das schließlich auch nicht getan.

Irgendwann verstehe ich meinen Sonderstatus und akzeptierte meine Geschlechtslosigkeit.

Bei meinem Besuch auf der Isla Navarino im Süden Chiles ist es diesmal anders. Als werdende Mutter nehme ich meinen natürlichen Platz in der Gesellschaft ein. Freilich verbringe ich die Zeit nicht so intensiv mit einer Dorfgemeinschaft, allerdings werde ich von Frauen anders wahrgenommen. Als ihresgleichen.

Ich besuche Großmutter Cristina, die letzte „reinblütige“ Yaghan, die Ureinwohner dieser und der umliegenden Inseln. Sie lädt mich ein, mich hinzusetzen. Ich bin hier, um sie für ein Interview für ein Auftragsvideo zu filmen. Doch zunächst stelle ich mich vor, und wir lernen einander ein bisschen kennen. Ich erzähle von mir, sie aus ihrem Leben. 10 Kinder hatte. Sie. Zwei sind als Babys gestorben, zwei als Erwachsene. Ich höre zu. Ich höre richtig zu. Das erste Mal habe ich das Gefühl, nicht einfach nur höflich dazusitzen. Ich zeige richtige Anteilnahme an dem Gespräch und Wertschätzung. Oft war ich in ähnlichen Situationen sehr zielorientiert. Es ging darum, irgendwann das Interview im Kasten zu haben. Jetzt bin ich gleichgültiger. Ich schätze die Frau, die vor mir sitzt, und genau das öffnet mir wieder andere Türen und Tore.

Abuela Cristina strickt. Mützen und ähnliches, und sie flechtet Korbwaren, wie so viele Frauen in der Gegend. Ich kaufe ihr ein paar Sachen ab: eine Mütze aus Wolle, die sie anscheinend auch selbst gesponnen hat und zwei Babyschuhe in rosa – wenn es ein Bub wird, kann ich sie ja weiterschicken. Großmutter Cristina lächelt mich an, nicht von ärmlicher Ureinwohner-Frau im hohen Alter zu europäischer Filmemacherin, sondern von Frau zu Frau. Es gibt etwas, das uns verbindet. Wir sprechen eine gemeinsame Sprache, eine Art Geheimsprache ohne Worte.

Ich glaube, eine Art stummen Einverständnisses der Frauen mir gegenüber wahrnehmen zu können. Selbst mit meinen Cousinen zurück in Österreich ist irgendetwas in unserer Beziehung anders. Auf einmal gibt es ein unsichtbares Band zwischen uns. Ich gehöre nun dazu.

Eine Freundin, Mutter eines einjährigen Buben, bestätigt mir diese Beobachtungen. Solidarität zwischen werdenden Müttern und Müttern von kleinen Kindern. Ein gegenseitiges Einverständnis… Starkes Gefühl, das enorm Kraft geben kann, wenn ich mir dessen bewusst bin. Umso schöner und wertvoller, dass dies scheinbar nur betroffenen Frauen und jenen, die das selbst erlebt haben, bewusst ist. Es fühlt sich an wie ein Geheimclub mit exklusiver Mitgliedschaft.

Vor meiner Schwangerschaft konnte ich das Gefühl nicht nachvollziehen. Auf einmal ist in mir ein tieferes Verständnis der Weiblichkeit, des Frauseins. Es ist ruhig und kraftvoll. Andere Frauen können dieses Verständnis, mit denen ich ihnen gegenübertrete, nun wahrnehmen, so wie sie mir in meiner Schwangerschaft verständnisvoll begegnen. Das kann man nicht lernen, das kann man nicht lesen. Es ist die Erfahrung dieses Zustands am eigenen Leib, der zur Mitgliedschaft in diesem Club berechtigt. Ich bin dankbar für diese Erfahrung und voller Erwartung, was sie noch mit sich bringen wird.

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