Miteinander

Zigaretten im Park, ein paar 13-jährige, die in der U-Bahn Papier herumschmeißen… und NIEMAND sagt etwas! Ein Bericht über Zivilcourage, inspiriert vom Muttersein.

Mein 11 Monate alter Wutzibutz krabbelt im Park mit Vorliebe weg von der Decke. Dahin, wo es anderes als Brei, Mais-Stangerl, sein Fläschchen das Gras rundherum und kleine Holzstücke in den Mund zu stecken gibt. Er krabbelt zum Rindenmulch, den ich einfach grauslich finde. Auf Kinderspielplätzen mag er seine Vorteile haben, aber da wird er meist auch nicht mehr in den Mund gesteckt. Allein der Geruch! Ich empfinde mich als recht tolerant dabei, ihn alles mögliche ausprobieren und kosten zu lassen. Aber eben nicht alles.

Die letzten zwei Male im Stadtpark ist es auch wie immer. Nach einiger Zeit werden die anderen Babys aus der Stillgruppe, mit der wir uns hier treffen, uninteressant. Wutzibutz krabbelt allein los, um die Welt zu erkunden. Ein paar Meter weiter gibt es so hübsche Parkbänke und darunter… ja! Darunter Zigarettenstummel. Ich kann gar nicht so schnell schauen, da wandert der weiße Stummel in Richtung Mund. In gewohnter Manier, nehme ich ihm das Ding aus dem Mund, so wie es mit jedem Kieselstein auch machen würde. Aber mit jedem Zigarettenstummel, den er entdeckt, steigt meine Wut innerlich an. Woraur? Auf Menschen, denen ein Miteinander egal ist! Die ihren Müll einfach unachtsam wegwerfen! Vor allem ihre Zigaretten! Es geht mir nicht darum, dass jeder, der keine Kinder hat, nachempfinden muss, wie das wohl sein mag. Aber seine Zigaretten auf der Straße und vor allem im Park – auf öffentlichen Plätzen allgemein – einfach richtig zu entsorgen, dazu braucht es nicht viel. Aber allein das ist für manche … ja ich weiß auch nicht. Was ist der Grund für diese Gleichgültigkeit und Ignoranz? Unzufriedenheit? Ich kann es mir nicht anders erklären. Ja, ich glaube wirklich, dass viele Menschen einfach unzufrieden mit ihrem Leben sind. Sie fühlen sich ohnmächtig. Ich kenne auch immer wieder Situationen – vor allem wenn es um Steuern, Beruf, Zahlungen etc… also um das „System“ im Allgemeinen geht – in denen ich mich ausgeliefert fühle. Ich traue mich zu sagen, dass ich in meinem Leben eine ziemliche Entwicklung durchgegangen bin und gelernt habe, Verantwortung zu übernehmen und meine Gestaltungsspielräume immer bewusster wahrzunehmen. Ein Prozess, der nie aufhört. Ich kenne das Gefühl, sich allem gegenüber ausgeliefert zu fühlen; den Trotz, die Wut und ähnliche Emotionen, die aufkommen können.

Ich glaube, dass dies einer der Hauptgründe sind für vieles, das in unserer Gesellschaft schief läuft. Die Zigarettenstummel sind nur ein klitzekleines Symptom für etwas, das sich auch gewaltvoll entladen kann. Aber eben ein Symptom, das mich als Mutter ärgert, so banal es ist.

Was mich aber mindestens so sehr ärgert, wie die Leute, die ihre Zigarettenstummel wegwerfen, sind die, die dabei zusehen. Ich werde auch nicht zu jedem einzelnen Menschen hingehen, den ich auf der Straße dabei sehe, aber wenn es neben mir passiert, neben mir auf der Parkbank oder in ähnlichen Situationen, dann mach ich den Mund auf! Das gehört zu Sensibilisierung dazu. Ich kann die Verantwortung nicht auf – ja auf wen denn eigentlich? – abschieben dafür, dass Jugendliche und Erwachsene lernen, dass das einfach nicht ok ist.

Gestern in der U-Bahn sehe ich mich in einer ähnlichen Situation, die mich fassungslos macht: ich bin ohne Wutzibutz am Heimweg. Am anderen Ende des Waggons werfen vier Burschen um die 13 Jahre alt Papierbälle auf ein Mädchen, das sie zu kennen scheinen. Eine harmlose Neckerei unter Pubertierenden? Mag sein. Aber sie vermüllen dabei den öffentlichen Raum unnötig. Und sehr zum Ärgernis der anderen Fahrgäste. Nur: keiner sagt etwas. Man hört Kommentare der Leute untereinander, aber keiner steht auf, geht zu den Kindern hin und sagt, dass sie damit aufhören sollen, ihnen vielleicht auch noch erklärt, warum sie damit aufhören sollen. Einfach mitteilt und sagt: „Das stört mich. Es betrifft auch mich, wenn Du so unachtsam die U-Bahn vermüllst.“

Ich sitze am anderen Ende des Waggons und überlege kurz, ob ich hingehen soll. Da fährt die U-Bahn in die Endstation ein. Zu spät. Alle steigen aus. Am Bahnsteig bleibe ich stehen und sehe den Burschen nach. Soll ich ihnen nachgehen? Sie zur Rede stellen? Da kommt die Antwort in Form eines zusammengeknüllten Papiers in meine Richtung geflogen. Das Mädchen geht sauer an mir vorbei. Die Burschen schauen ihr lachend hinterher und werfen noch irgendwelche Flyer hinterher. Jetzt aber! „Sagt mal geht es euch noch gut? Warum vermüllt ihr hier alles? Ihr könnt ja nicht einfach mit Papier in der Gegend herumwerfen und alles dreckig machen.“ Ich habe ein lautes Organ. Die Buben erschrecken und laufen. Ich hinterher. Ein Mann hält einen der Buben fest. Die anderen sind schneller. Ich bin selbst ganz verdattert in der Situation und laufe nicht hinterher, sondern stelle den Buben zur Rede. Der Mann hat ihn wohl festgehalten, da er geglaubt hat, er hätte mir was geklaut. Nein, hat er nicht, aber ich stelle ihn lautstark vor allen Menschen am vollen Bahnsteig zur Rede. Er ist eingeschüchtert. Und läuft schließlich seinen Freunden hinterher. Die Leute sehen mich fragen, ja beschämt an. Der Mann entschuldigt sich bei mir. Wofür eigentlich? Naja, er hat ja mit dem Papier nichts zu tun… Das ist unsere Welt? So groß ist die Angst vor Bestrafung, dass ein erwachsener Mann mir hier nichts anderes sagen kann als: „Ich war’s nicht!“

Vielleicht hätte ich den Buben hinterherlaufen sollen. Mittlerweile bin ich ja wieder ganz gut in Form und gute Kondition habe ich auch. Aber ich will ihnen ja nicht drohen. Ich will einfach kommunizieren! Ihnen sagen, dass das nicht ok. Ob das etwas ändert? Vermutlich nicht, aber irgendwo muss das Miteinander ja anfangen?

Ich fahre die Rolltreppe hoch und fühle mich aufgeregt und aufgedreht wie nach einer Prüfung oder einem Publikumsgespräch. Ein kleines bisschen Stolz ist auch dabei. Darauf, dass ich meinen Mund aufgemacht habe. Zugegeben, den Ton habe ich nicht ganz getroffen, aber ich lerne. Vielleicht sitze ich demnächst einmal auf einer Parkpark, und neben mir wirft einer seinen Zigarettenstummel auf den Boden. Dann werde ich vielleicht schon einen freundlicheren Ton anschlagen können, bestimmt aber freundlich. Kommunikation ist Übungssache, vor allem in Situationen wie mit den 13-jährigen davonlaufenden Buben, wo keine Zeit bleibt, zu überlegen, was ich sage. Ich muss auf ein Repertoire zurückgreifen können, mich sicher fühlen, üben. Auch erwarten, dass jemand zurückredet. Und dann nicht streiten, sondern in Dialog treten. Damit beginne ich JETZT! Wofür eigentlich? Weil ich mir eine Welt des Miteinanders für meinen Wutzibutz wünsche und versuche, dazu etwas beizutragen.

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