Nestbau

Es heißt, Schwangere hätten diesen Nestbautrieb, der zu unterschiedlichen Zeiten eintrifft. Zwischen Bedürfnissen und Wünschen zu unterscheiden ist nicht immer einfach. In den neun Monaten Ausnahmesituation noch weniger.

Die innere Weisheit, die ganz genau weiß, wovon ich wieviel benötige, tritt manchmal zurück. Ängste und Neidgefühle vermischen sich mit der inneren Stimme – in verschiedenen Lebenssituationen.

Ich kann mich erinnern, mit meinem Biologie-Lehrer im fünften Schuljahr darüber diskutiert zu haben, ob Menschen Instinkte habe. Er wollte uns beibringen, dass Instinkte rein tierisch seien und der Mensch diese nicht hätte. Schon damals widersprach ich. Es schien mir unlogisch, dass wir Menschen als LEBEWESEN diese überlebensnotwendigen Instinkte nicht haben sollten. Wie sonst würden viele Dinge einfach so funktionieren und den (friedlichen) Fortbestand unserer Spezies ermöglichen?

Instinkte werden immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Wissenschaftliches Fachwissen steht über innerer Weisheit, intellektuelle Argumente über gefühlter Wahrheit. Doch bin ich der tiefen Überzeugung, dass der Mensch genau weiß, was er braucht, ob er gesund ist, was er zu ändern hat. Aus unterschiedlichen Gründen – meist Angst motiviert – verlernen wir immer mehr, der inneren Stimme zu vertrauen. In klare innere Anweisungen mischen sich Zweifel, Neid und Gier.

Der Nestbautrieb, der  in den vergangenen Wochen bei mir immer lauter wird, lässt mich dieses Phänomen beobachten:

Anfang des Jahres und zu Beginn meiner Schwangerschaft konnte ich mir gut vorstellen, im Mai noch einmal für mein Filmprojekt nach Peru zu fahren. Da ich die finanziellen Mittel dafür vorerst nicht genehmigt bekam, bleibe ich nun hier. Ich bin erleichtert. Ich möchte es mir und meinem Bauch einfach nur gemütlich machen. Eine Reise mit Fokus auf Dinge und Menschen außerhalb von mir und meiner unmittelbaren Familie lenkt meine Aufmerksamkeit weg vom allerwichtigsten, was es derzeit in meinem Leben gibt, nämlich dieses wachsende Leben in mir zu nähren. Als ich die Absage vor mittlerweile fast zwei Monaten erhalte, bin ich daher erleichert, dass mir die Entscheidung, in dieser Phase noch einmal zu reisen, abgenommen wird. Ich habe mich immer als Mensch in Bewegung gesehen, auch die Vision, mich mit eigenen Kindern eines Tages um den Globus zu bewegen, ist nach wie vor da. Aber die Natur gibt nun mal den Rhythmus vor. Wenn ich mich dem füge und den richtigen Zeitpunkt abwarte, dann wird es leichter.

So wird nun zu Hause geputzt und hergerichtet. Ich muss viel in die Natur hinaus. Es ist Frühling, also schöpfe ich gerade jetzt viel Kraft von einem Spaziergang im Wald. Das ist etwas anderes als durch einen der zweifellos schönenen Parks in Wien lustzuwandeln. Wald, Vögel, keine Autos, die Schuhe ausziehen und über nasses Gras zu gehen… Ach wie schön wäre es, wieder einen eigenen Garten direkt vor der Haustür zu haben. Das Bild eines eigenes Häuschen am Stadtrand, am besten aus Holz, wird immer präsenter. Eine Eigentumswohnung mit Gartenzugang täte es zur Not auch. Aber bitte im Bezirk Mödling. Den kenne ich, meine Familie ist da, es ist so nah an der Stadt und gleichzeitig ist man sofort von der Haustüre weg draußen in der Natur. Teuer ist es dort, aber vielleicht geht das ja doch irgendwie. Bald. Ich kann mich ja einmal umsehen…

Die Spirale dreht sich weiter. „Ich will auch! Ich will auch!“, schreit es mit jedem Tag lauter in mir. „Ich will was andere haben. Eigentum. Aber nicht zu klein!“ Irgendwann sehe ich nur mehr die Fassaden und nicht, was dahintersteht. Mein Nestbautrieb mit der Freude, mit den mir und uns zur Verfügung stehenden Mitteln das zu Hause noch heimeliger zu gestalten, wird zur Gier. Die Form wird wichtiger als der Inhalt. Ich beobachte mit Schrecken, wie dieser Keim eines schönen Pflänzchens zu einem mörderischen Parasiten zu verwachsen droht. Ich beginne, mich in allem zu hinterfragen. All meine bisherigen Entscheidungen, mein Lebensweg, meine Berufswahl, Studium… war alles ein Fehler? Denn ich kann mir ja nicht leisten, was andere scheinbar haben. Ich bin so weit weg von dem, was in unserer Gesellschaft „normal“ ist. Ich werde ungeduldig und immer unzufriedener mit mir selbst.

Gerade noch rechtzeitig kann ich den wachsenden gedanklichen Parasiten zurückschneiden. Ein unangenehmes Gespräch, das mich am Ende an die Kraft meiner inneren Weisheit erinnert, hilft mir dabei. In diesem Gespräch mit einer mir nahestehenden Person wird die Natürlichkeit des Schwangerseins angezweifelt. Die Verantwortung, die ich als werdende Mutter habe, wird damit gleichgesetzt, alle nur erdenklichen Untersuchungen durchführen zu lassen (mehr dazu im nächsten Beitrag).

Nach diesem Gespräch sehe ich auf einmal wieder klar. Ich bin unendlich dankbar, meine innere Stimme wahrnehmen zu können. Gerade während der Schwangerschaft fällt mir auf, dass erstaunlich wenige Frauen (und Männer) dazu noch in der Lage sind. Das Beste für das Kind zu tun wird gleichgesetzt mit haufenweise Arztterminen, Nahrungsergänzungsmitteln oder der Größe des Kinderzimmers. Angst, dass etwas schief gehen könnte, ist für viele Frauen präsent und jede Phase dieser 40 spannenden Wochen wird penibel kontrolliert. Denn nur die Ärzte können einem sagen, ob alles in Ordnung ist. Können sie das wirklich?
Eigentum zu haben und meinem Kind, das noch nicht einmal geboren ist, eines Tages etwas zu vererben wird auf einmal wichtig. Dabei muss ich sehr aufpassen und unterscheiden zwischen dem, was ich aus meinem Innersten heraus für wichtig erachte, und dem, was mir um mich herum suggeriert wird. Ich brauche mich nicht in materiellen Dingen mit anderen zu vergleichen – auch oder gerade als Mutter nicht. Denn was das Kind in meinem / unseren Nest bekommen wird, ist ganz individuell. Ein Garten vor der Haustüre, ja das wäre wunderbar, doch geht es in dieser Phase, heute, jetzt um andere Dinge. Das darf ich nicht aus den Augen verlieren. Jetzt geht es darum, vor allem auf mich acht zu geben – sowohl emotional als auch physisch – denn bis zur Geburt bin ich das Haus, in dem das Kind lebt. Fürs Raumklima bin ich allein verantwortlich. Die weiteren Schritte kann ich nur behutsam vorbereiten. Ganz in Ruhe, eines nach dem anderen.


(Als dieser Beitrag veröffentlicht wird, bin ich am Ende der 24. Schwangerschaftswoche)

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